Neue Mittel gegen Infektionskrankheiten / Erreger kennen keine Grenzen / Sprecher des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung Krönke im Interview mit bmbf-online (BILD)

(ots) - 
   Erreger kennen keine Grenzen und Resistenzen gegen Medikamente 
nehmen rapide zu. Auch auf dem fünften Weltgesundheitsgipfel in 
Berlin ist die Herausforderung an die Medizin durch 
Infektionskrankheiten ein Schwerpunktthema. "Infektionskrankheiten 
gehören heute zu den häufigsten Todesursachen weltweit", sagt 
Professor Dr. Martin Krönke. Er ist Direktor des Instituts für 
Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene an der Uniklinik 
Köln und Sprecher des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung. 
Unter dem Stichwort Translation etabliert das DZIF neue Strukturen, 
um Erkenntnisse aus der Forschung möglichst schnell zum Patienten zu 
bringen. Im Interview mit bmbf-online spricht Krönke über den 
steinigen Weg von der Grundlagenforschung in die medizinische Praxis 
und erklärt, warum immer neue Infektionskrankheiten auf uns zukommen.
Im globalen Kampf gegen Krankheitserreger dränge die Zeit, neue 
Verfahren in der Diagnostik, Prävention und Therapie zu entwickeln. 
Erste Erfolge gebe es dabei bereits.
   bmbf-online: Herr Professor Krönke, ob Tuberkulose oder Grippe - 
wie groß ist die Gefahr, die für uns von Infektionskrankheiten 
ausgeht?
   Krönke: Im letzten Jahrhundert wurden mikrobielle 
Infektionserreger schon als besiegt erklärt. Leider war das eine 
fatale Fehlinterpretation zu einer Zeit, in der die pharmazeutische 
Industrie kontinuierlich neue Antibiotika in die klinische Anwendung 
brachte. Die Begeisterung über große Wirksamkeit von Antibiotika war 
jedoch verfrüht. Infektionskrankheiten gehören heute zu den 
häufigsten Todesursachen weltweit. Insbesondere in den 
Entwicklungsländern sterben vor allem Kleinkinder an 
Infektionserkrankungen der Atemwege und des Magen-Darm-Traktes.
   bmbf-online: Wie kommt es, dass immer neue Infektionskrankheiten 
auf uns zukommen?
   Krönke: Bedingt durch den Klimawandel werden den Überträgern von 
Krankheitserregern neue Lebensräume geschaffen. Ein Beispiel ist die 
Asiatische Tigermücke. Sie breitet sich gerade auch in Europa aus und
kann das West-Nil-Virus von Vögeln auf Menschen übertragen. Auch 
durch das Vordringen in bislang vom Menschen unbesiedelte Regionen 
kommen Menschen immer wieder mit unbekannten neuen Erregern in 
Kontakt. Bei der Rodung des brasilianischen Urwalds wurden so schon 
über 200 neue Viren isoliert. Deren Krankheitspotential ist noch 
völlig ungeklärt. Durch die Mobilität können gefährliche 
Krankheitserreger wie die in Süd-Ost Asien und Saudi-Arabien neu 
aufgetretenen Corona-Viren, SARS und MERS, sogenannte Pandemien 
auslösen - das kann jederzeit zu einem Problem werden, das die ganze 
Welt betrifft.
   bmbf-online: Stimmt es, dass diese Krankheiten immer schwerer 
verlaufen und dass es der Pharmaindustrie immer weniger gelingt, neue
wirksame Medikamente dagegen zu entwickeln?
   Krönke: Ja, das ist richtig: Die medizinische Behandlung von 
Infektionskrankheiten gestaltet sich auch bei uns in Deutschland 
immer schwieriger. Das liegt daran, dass viele bakterielle 
Infektionserreger ausgeprägte Resistenzen gegen die gängigen 
Antibiotika entwickelt haben. Bei einigen lassen sich bereits heute 
schon keine wirksamen Antibiotika mehr finden. Das ist ganz besonders
brisant, wenn man bedenkt, dass es der Pharmaindustrie seit 1980 
nicht mehr gelungen ist, wirklich neue Substanzklassen für 
Breitband-Antibiotika in die Klinik zu bringen.
   bmbf-online: Was ist denn eigentlich die Ursache dafür, dass immer
mehr Erreger gegen Antibiotika resistent sind?
   Krönke: Bakterien vermehren sich rasend schnell. Das ist, zusammen
mit dem Kommunikationsverhalten der Bakterien, die Hauptursache für 
die schnelle Resistenzentwicklung. Wenn sich erst einmal ein 
Antibiotika-Resistenzmechanismus bei auch nur bei einem einzigen 
Bakterium etabliert hat, wird sich dieses Bakterium unter dem 
Selektionsdruck des Antibiotikums in bester darwinistischer Manier 
vermehren und in kürzester Zeit durchsetzen. Darüber hinaus sind 
Bakterien in der Lage Resistenzmechanismen auf Nachbarzellen zu 
übertragen - auch über Speziesgrenzen hinweg. Durch den großflächigen
Einsatz von Antibiotika beim Menschen, in der Veterinärmedizin und in
der Tierzucht leisten wir der Antibiotika-Resistenzentwicklung also 
auch noch Vorschub. Auf lange Sicht spielt unser menschliches 
Verhalten aber nur eine untergeordnete Rolle. Wir können die 
Antibiotikaresistenz-Entwicklung von Bakterien zwar entschleunigen 
oder auch beschleunigen, aber eben nicht verhindern. Doch auch wenn 
in Zukunft viele oder sogar die meisten Antibiotika nicht mehr so gut
greifen werden: Kassandra-Beschwörungen einer Rückkehr zur 
Präantibiotischen Ära scheinen mir trotzdem überzogen. In den 
vergangenen Jahren ist auf dem Gebiet der Prävention von 
Infektionskrankheiten viel passiert: Durch hygienische Maßnahmen und 
neue Impfstoffe beherrschen wir Infektionserreger und bereits 
erfolgte Infektionen mittlerweile wesentlich besser.
   bmbf-online: Sie sind Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums
für Infektionsforschung. Angesichts der von Ihnen beschriebenen 
Situation - wie kann das DZIF da helfen?
   Krönke: Das DZIF ist eines von sechs neuen bundesweiten 
Gesundheitszentren, die vom Bundesforschungsministerium ins Leben 
gerufen wurden, um die Erkenntnisse der Grundlagenforschung schneller
und effizienter an den Patienten zu bringen. Das ist nun leichter 
gesagt als getan. Der Weg von einer im Experimentalmodell wirksamen 
Substanz zur klinischen Prüfung am Menschen ist lang, steinig, teuer 
und extrem risikoreich. Die wenigsten Wirkstoffkandidaten erfüllen 
die Kriterien, die für eine klinische Studie erfüllt sein müssen. 
Diese als Translation bezeichnete Forschungsrichtung war bislang eine
Domäne der Pharmaindustrie. Zahlreiche vielversprechende 
Wirkstoffkandidaten, die an Universitäten und 
Großforschungseinrichtungen entdeckt, aber nicht von der 
Pharmaindustrie aufgegriffen und entwickelt wurden, können nun 
innerhalb des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung bis zur 
ersten Prüfung am Menschen gebracht werden. Diese translationale 
Forschungsförderung schließt eine bislang eklatante Lücke in der 
Entwicklungskette und Wertschöpfung von neuen Wirkstoffen in 
akademischen Einrichtungen.
   bmbf-online: Warum ist es grundsätzlich wichtig, dass nicht nur in
den Unternehmen zu neuen Medikamenten geforscht wird, sondern auch an
Universitäten und Großforschungseinrichtungen?
   Krönke: Pharmafirmen sind gezwungen Geld zu verdienen. So trivial 
das anmutet, spielt dieser Aspekt für die Interessenslage eine große 
Rolle. Während im DZIF der Wunsch nach neuen Therapiemöglichkeiten 
für den kranken Menschen im Vordergrund steht, zwingt das Primat der 
Wirtschaftlichkeit die Pharmaunternehmen, das Marktpotential eines 
Wirkstoffkandidaten als entscheidendes Kriterium für dessen 
Entwicklung zu berücksichtigen. Ein "return on investment" wird sich 
am ehesten bei chronischen Krankheiten einstellen, von denen viele 
Patienten betroffen sind. Durch die Förderung von translationaler 
Forschung im DZIF können antimikrobielle Wirkstoffe bis zur frühen 
klinischen Prüfung entwickelt werden - ohne vordergründiges 
Profitdenken. Es ist also eine berechtigte Hoffnung, dass die 
Universitäten und Großforschungseinrichtungen des DZIF zur 
Erweiterung des Spektrums von Antiinfektiva beitragen können.
   bmbf-online: Woran wird zurzeit konkret geforscht?
   Krönke: Die Forschung im DZIF ist in vollem Gange und aus den 
einzelnen Abteilungen werden die ersten Erfolge gemeldet. Es ist zum 
Beispiel gelungen, das weltweit erste Nachweissystem für MERS, das 
Middle East Corona Virus, zu etablieren. Außerdem wurde bereits ein 
Impfstoffkandidat für MERS entwickelt und in einer klinischen Studie 
konnte die Infektionsdosis der Malaria tropica definiert werden. Die 
Forschungseinheit "Neue Antiinfektiva" ist dabei, eine Impfung gegen 
multiresistente Staphylokokken zu entwickeln.
   bmbf-online: Welche Rolle spielt für den Bereich der 
Infektionsforschung die Kommunikation und Zusammenarbeit mit anderen 
Partnern?
   Krönke: Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung möchten wir 
Strukturen schaffen, die es auch akademischen Institutionen erlauben,
die Erkenntnisse der Grundlagenforschung möglichst schnell an den 
Patienten zu bringen. Diese Strukturen wird das DZIF generell 
Forschungseinrichtungen auch außerhalb des DZIF zur Mitbenutzung zur 
Verfügung stellen. Der enge Austausch und die Kooperation mit 
nationalen und internationalen Partnern im akademischen und privaten 
Bereich sind enorm wichtig. Denn nur so können wir uns den aktuellen 
und den kommenden Herausforderungen der Infektionserreger stellen und
ihnen mit neuen Verfahren in der Diagnostik, Prävention und Therapie 
entgegentreten.
   Forschung für unsere Gesundheit im Webtalk:
   http://www.bmbf.de/de/webtalks-gesundheitsforschung.php 
   Gibt es die pefekte Diät? Macht es Sinn, sein Erbgut analysieren 
   zu lassen? Was für Gefahren drohen, wenn Medikamente bei einigen 
   Menschen nicht mehr wirken? Auf diese und andere Fragen antworten 
   Experten in der neuen Webtalk-Serie "Forschung für unsere 
   Gesundheit"
   Volkskrankheit Bluthochdruck http://www.bmbf.de/de/22827.php 
   Im Gespräch mit Professor Dr. Detlev Ganten, World Health Summit
   Individualisierte Medizin http://www.bmbf.de/de/22825.php 
   Im Gespräch mit Professor Dr. Walter Rosenthal, MDC Berlin-Buch
   Ernährungsforschung http://www.bmbf.de/de/22819.php 
   Im Gespräch mit Professor Dr. Annette Grüters-Kieslich, Charité 
   Universitätsmedizin Berlin
   Antibiotika-Resistenzen http://www.bmbf.de/de/22817.php 
   Im Gespräch mit Professor Dr. Norbert Suttorp, Charité 
   Universitätsmedizin Berlin
  Neue Forschungs-Strukturen durch das DZIF: 
  Am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung arbeiten seit 2012 
mehr als 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in 32 
universitären und außeruniversitären Einrichtungen an sieben 
Standorten zusammen. Das DZIF ist eines von sechs Deutschen Zentren 
der Gesundheitsforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und 
Forschung zur Erforschung der wichtigsten Volkskrankheiten initiiert 
wurden.
   http://www.dzif.de/ 
   http://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/
   Weltgesundheitsgipfel in Berlin: 
   Der World Health Summit bringt jedes Jahr rund 1.000 Vertreter aus
Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft nach Berlin, 
um die drängendsten Aufgaben der globalen Gesundheitsversorgung zu 
diskutieren. Der fünfte World Health Summit findet vom 20. - 22. 
Oktober 2013 im Auswärtigen Amt in Berlin statt. Er steht unter der 
Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs 
Staatspräsident François Hollande und EU-Kommissionspräsident  José 
Manuel Barroso. 
   http://www.worldhealthsummit.org
Pressekontakt:
Strategische Kommunikation / Internationale Presse
Frau Georgia Blum
Bundesministerium für Bildung und Forschung
Hannoversche Straße 28-30, 10115 Berlin
Telefon: +49 (0)30 1857-5491
E-Mail: ls4(at)bmbf.bund.de
      
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Datum: 16.10.2013 - 04:00 Uhr
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