tz München: "Kein Film ist perfekt!" tz-Interview mit Regielegende Werner Herzog über Höhlen und Lei
(ots) - "Herzog." Regie-Star Werner Herzog (69) stellt 
sich tz-Kolumnistin Ulrike Schmidt höflich vor. Das ist selten 
geworden in einer supermedialen Zeit, wo der Mensch im Begriff Star 
verloren scheint. Lange schon lebt der gebürtige Münchner in Los 
Angeles, und nur ein Bruchteil seiner regen Filmarbeit schafft es in 
die alte Heimat, wie "Die Höhle der vergessenen Träume", die am 
Donnerstag bei uns im Kino anläuft. Es ist eine 3D-Reise zu den 
ältesten bekannten Höhlenmalereien der Welt im südfranzösischen 
Flusstal der Ardeche. Über 20000 Jahre lang war die Chauvet-Höhle von
einem Felssturz versiegelt und wurde erst 1994 entdeckt. Nur einzelne
Forscher dürfen sie seither betreten. Dass sie Werner Herzog 
öffentlich zeigen kann, liegt an seiner Unbedingtheit: Er ließ sich 
für einen Euro vom französischen Staat anstellen, um mit einem 
kleinen Filmteam Zutritt zu erhalten... Fleece-Shirt, legere Hose; 
fester, ernster Blick - so begegnet die Regielegende Werner Herzog 
einem Interviewmarathon von drei Tagen am Stück - in Köln und Berlin.
Allein der Jetlag macht ihm zu schaffen. Auch die immerselben Fragen?
Werner Herzog antwortet mit seiner klaren metallischen Baritonstimme,
die auch im Film durch die Höhle führt: Nein, ich sehe das als Teil 
der Notwendigkeiten und beklage mich darüber sicher nicht.
   Wir haben Sie lange nicht mehr in München gesehen - keine 
Sehnsucht nach der alten Heimat?
   Herzog: Ja, sie fehlt mir, vor allem, dass ich den bayerischen 
Dialekt nicht höre. Das ist seltsamerweise die größte aller Lücken.
   Hat das Bairische Ihre Filme geprägt?
   Herzog: Zwangsläufig. Ich kann und will ja meine kulturelle 
Herkunft nicht beiseiteschieben. Ich glaube, das sehen Sie auch 
meinen Filmen an, inklusive übrigens "Fitzcarraldo" - das kann kein 
Preuße machen.
   Sie sind in dem kleinen Bergdorf Sachrang aufgewachsen und wussten
mit elf Jahren noch nichts von der Existenz des Kinos; mit 17 haben 
Sie Ihr erstes Telefonat geführt und mit 25 einen Silbernen Bären für
ihren ersten Film "Lebenszeichen" gewonnen. Wie haben Sie Ihre 
gewaltige Bildsprache entwickelt, wie sind die Bilder in Ihnen 
entstanden?
   Herzog: Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich will dem auch gar 
nicht nachgehen.
   Würden Sie nie mehr nach Sachrang oder München zurückkehren 
wollen?
   Das ist nicht so sehr eine Frage von wollen. Ich lebe ja zum guten
Teil an den Schauplätzen meiner Filme, an den Drehorten. Das andere 
ist: Ich bin in Los Angeles verheiratet, und das ist der Grund, warum
ich zum großen Teil eben nicht in München bin. Ich habe aber immer 
noch Wurzeln dort und auch einen Wohnsitz.
   Dann brauchen wir die Hoffnung nicht aufzugeben, Sie auch wieder 
mal in München zu erleben.
   Herzog: Die große Hoffnung für München bin nicht ich, das ist 
Ribéry. In Los Angeles habe ich Satelliten-Fernsehen und kann die 
deutsche Bundesliga sehen oder die Englische Premier League. Die 
Engländer sehe ich am liebsten, weil die spielen mit einer solchen 
Leidenschaft wie nirgends sonst auf der Welt.
   Leidenschaft - das zeichnet all Ihre Filme aus. Ist die 
Leidenschaft für Sie das Wesentliche eines Menschen?
   Herzog: Nicht unbedingt. Es ist vielleicht ein Teil, ja, aber auf 
diesen mich beschränken zu wollen, wenn ich mit Menschen umgehe, wäre
armselig.
   Ihre Leidenschaft für Höhlenmalerei hat Sie jedenfalls zu diesem 
Film inspiriert...
   Herzog: Da war ich wohl 12, 13 Jahre alt, als ich im Schaufenster 
einer Buchhandlung einen Band entdeckte, auf dessen Titel ein Pferd 
der Lascaux-Höhle abgebildet war. Und ich wurde von einer 
unbeschreiblichen Aufregung erfasst: Ich wollte dieses Buch, ich 
musste es haben. Es dauerte über ein halbes Jahr, bis ich es kaufen 
und öffnen konnte. Und ich spüre immer noch den Schauder von 
Ehrfurcht und Staunen, den ich damals empfand. Dieses Buch war 
eigentlich mein erstes selbständiges intellektuelles Interesse, und 
diese Faszination für prähistorische Kultur hat mich nie verlassen.
   Der Höhlenfilm war auch wieder mit einer großen physischen 
Herausforderung verbunden, wie viele Ihrer Filme...
   Herzog: Die Höhle ist eigentlich sehr groß, sie streckt sich über 
300 Meter in die Tiefe. Aber es gab sehr beengte Verhältnisse. Mit 
mir durften nur drei weitere Personen in die Höhle - während einer 
Woche und nur vier Stunden pro Tag. Wir durften niemals den 60 
Zentimeter breiten Metallsteg verlassen. Das ist aber alles nicht nur
eine Caprice. In anderen berühmten Höhlen, wie die von Lascaux, waren
sehr viele Touristen, und durch die Atemausdünstungen hat sich ein 
Pilz an den Wänden gebildet, den man nicht richtig bekämpfen kann. 
Man musste also klug und erfindungsreich genug sein, um einen guten 
Film zu machen.
   Das ist der Materialwiderstand...
   Herzog: Jeder Film, jeder Film, egal ob bei mir oder einem anderen
Menschen auf der Welt, hat Probleme. Einen Film ohne Probleme gibt es
nicht, aber danach braucht kein Hahn zu krähen. Es kräht ja auch kein
Hahn danach, wenn Sie im Schulhof Kinder spielen sehen, dass die 
Geburt eines Kindes eine radikale schmerzliche und wüste 
Angelegenheit für die Mutter war. Kein Hahn kräht mehr danach.
   Trotzdem formen auch die Arbeitsbedingungen den Film...
   Herzog: Klar, bestimmte Sachen waren nicht möglich darzustellen, 
zum Beispiel die  Fußspur eines etwa achtjährigen Jungen, daneben die
Fußspuren von einem Wolf. Wobei wir aber nicht wissen, ob der Wolf 
nicht 5000 Jahre später in der Höhle war. Wir durften da nicht 
einfach hinaustrampeln, weil gleich neben dem Steg relativ frische 
Spuren von Höhlenbären sind, und diese Gattung war schon vor 25000 
Jahren ausgestorben.
   Wie berührt einen so ein Abdruck des Lebens, der 25000 Jahre 
überdauert hat?
   Herzog: Diese Zeitabläufe sind überhaupt völlig unbegreifbar für 
uns. Man weiß, dass ein Bild unfertig zurückgelassen wurde und dass 
es jemand anderer vervollständigt hat - das war 5000 Jahre später. 
Also ich stell mir das vor: Ich hinterlasse am Küchentisch ein halb 
ausgefülltes Kreuzworträtsel und jemand anderer bringt das zu Ende - 
5000 Jahre später.
   Was sollte man denn über Sie denken - 5000 oder 20000 Jahre 
später?
   Herzog: Das ist mir schnurzegal, ist mir total und vollkommen und 
endgültig egal.
   Man macht aber doch  Kunst, auch um einen Teil von sich 
weiterleben zu lassen...
   Herzog: Sicher, es bleiben natürlich bestimmte Sachen übrig. Aber 
wie darüber gedacht wird, das ist mir egal. Insgesamt aber weiß ich, 
dass ich das, was ich gemacht habe, richtig gemacht habe, und 
deswegen, auch wenn mich die Nachwelt nicht interessiert, würde ich 
deren Urteil ohne Bange gegenüberstehen.
   Mit Ihrem Film-Ende zeichnen Sie ein sehr düsteres, 
pessimistisches Bild von der Zukunft...
   Herzog: Ach, pessimistisch. Es geht vor allem um Sehweisen: Wie 
haben die Menschen vor Jahrzehntausenden ihre Bilder gesehen, wie 
sehen wir sie heute? Oder wie sehen sie unsere Kinder, deren Sehweise
sich schon radikal verändert hat, die sich in virtuellen Welten im 
Internet bewegen, die Video-Games machen, die Photoshop benutzen, die
Reality-TV sehen. Wir müssen eine neue Art im Kino finden, wie wir 
mit der Darstellung von der wirklichen Welt umgehen.
   Sie haben sich für den Einsatz der 3D-Technik im Dokumentarfilm 
entschieden - ein Novum...
   Herzog: Für den Film sicher die einzige Möglichkeit. Aber wenn man
sich meine anderen Filme anschaut, in allen Fällen wäre es unsinnig 
gewesen, in 3D zu arbeiten. Das war der Film, wo es notwendig war. In
dem Moment, wo ich die Höhle zum ersten Mal betreten konnte, war mir 
sofort klar, das ist ein Imperativ. Das muss in 3D gedreht werden, 
egal wie schwierig das wird.
   Streben Sie nach dem perfekten Film?
   Herzog: Nein, den gibt es nicht. Nicht nur Film, es gibt kein 
perfektes Kunstwerk, das ist undenkbar. Per meiner Definition kann es
das nicht geben und ich kann mich leicht daran gewöhnen, dass jeder 
meiner Filme irgendwo Defekte hat. Ich mag sie trotzdem alle.
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Datum: 27.10.2011 - 12:22 Uhr
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