Steinmeier in Kolumbien: Außenminister muss Versäumnisse im Friedensprozess ansprechen
(ots) - Anlässlich des Besuches von Frank-Walter Steinmeier
in Kolumbien fordert Reporter ohne Grenzen (ROG) den Außenminister 
auf, die Versäumnisse im Friedensprozess ansprechen. Die im 
Friedensabkommen vereinbarten Regelungen zum Schutz der 
Pressefreiheit müssen sofort umgesetzt und auf weitere illegale 
Gruppen ausgeweitet werden. Seit Inkrafttreten des Abkommens hatten 
zuletzt Drohungen und Schikane gegen Journalisten insbesondere von 
Seiten paramilitärischer Gruppen zugenommen. Diese Gruppen sind nicht
am Friedensprozess beteiligt.
   "Während die Weltöffentlichkeit sich vor allem auf den 
Friedensprozess mit den FARC konzentriert, werden Journalisten 
insbesondere  von paramilitärischen Gruppen vermehrt bedroht", sagte 
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Drohungen gegen Journalisten 
müssen ernstgenommen werden, um die anhaltende Selbstzensur zu 
bekämpfen. Wir fordern die kolumbianische Regierung auf, den 
Friedensprozess auf die übrigen illegalen Gruppierungen auszuweiten, 
um einen umfassenden Schutz für Journalisten zu gewährleisten."
   In den vergangenen Monaten verübten paramilitärische Gruppierungen
vermehrt  Anschläge auf Menschenrechtsaktivisten 
(http://t1p.de/4ti8). Riskant ist dieser Anstieg auch für 
Journalisten: Der Kolumbianische Journalistenverband und 
ROG-Partnerorganisation FECOLPER (Federación Colombiana de 
periodistas) beobachtet vermehrte Drohungen gegen Journalisten, die 
zu Angriffen auf Aktivisten berichten und diese interviewen. So 
musste ein Journalist kürzlich die Region Catatumbo verlassen und 
untertauchen: Er hatte über die Ermordung mehrerer Führer von 
Bauernorganisationen berichtet und wurde anschließend massiv bedroht 
und verfolgt.
   VERMEHRT DROHUNGEN GEGEN JOURNALISTEN
   Neben der Berichterstattung über Anschläge existieren noch weitere
Themen, die riskant für Journalisten sind. So sah sich das 
unabhängige Nachrichtenportal Onda Opita gezwungen, seine Webseite 
nach Morddrohungen zu schließen. Die Seite hatte in einem Artikel 
beschrieben, dass der Bürgermeister der Stadt Neiva Stadträte 
bestochen haben soll. Daraufhin rief dieser auf seiner privaten 
Facebookseite zu Übergriffen auf das Portal auf (http://t1p.de/t9sy).
Auch die Journalistin Lucy Flórez erhielt Todesdrohungen, nachdem sie
über eine kranke Abgeordnete berichtet hatte (http://t1p.de/coij).
   Zudem entschied der Oberste Gerichtshof von Bogotá im Dezember in 
dritter Instanz, die Anschuldigungen wegen illegaler Überwachung von 
Journalisten gegen den Ex-Geheimdienstmitarbeiter José Miguel Narváez
fallenzulassen. Damit hebt der Gerichtshof das Urteil gegen Narváez 
auf, der in erster und zweiter Instanz zu acht Jahren Haft verurteilt
worden war. Eine Begründung lieferten die Richter bislang nicht 
(http://t1p.de/xx5g).
   SELBSTZENSUR GRÖSSTE GEFAHR FÜR DIE PRESSEFREIHEIT
   Journalisten sind auch weiterhin willkürlicher Schikane von 
Staatsvertretern ausgesetzt. So hielt etwa die Militärpolizei 
Pressevertreter im Vorfeld einer Pressekonferenz auf der Insel San 
Andrés nachts an einem Flughafen grundlos fest (http://t1p.de/huum). 
Sie durchsuchten mehrere Journalisten stundenlang  und verweigerten 
ihnen den Besuch der Toilette sowie den Zugang zu Nahrungsmitteln und
Getränken. Die Schikanen gingen soweit, dass die Pressevertreter 
schließlich gemeinsam entschieden, die Reise abzusagen.
   Aber das größte Problem ist nach wie vor die weit verbreitete 
Selbstzensur. So wurde nun zwar ein Abkommen mit den FARC-Rebellen 
geschlossen - die zweitgrößte Guerilla ELN agiert jedoch weiter 
insbesondere in den ländlichen Regionen. ELN-Kämpfer hatten so unter 
anderem im Mai drei Journalisten entführt (http://t1p.de/7e5z). Die 
Friedensgespräche zwischen der ELN und der kolumbianischen Regierung 
waren zuletzt von blutigen Anschlägen der Rebellen überschattet und 
zeitweise ausgesetzt worden (http://t1p.de/4txv).
   Die größte Gefahr geht weiterhin von paramilitärischen Verbänden 
aus. Nun, da mit der Demobilisierung der FARC in den ländlichen 
Regionen gewissermaßen ein Gegengewicht entfällt, befürchtet FECOLPER
einen weiteren Anstieg der Drohungen gegen Journalisten. Um der 
Selbstzensur entgegen zu treten, gründeten Journalisten und Vertreter
der Zivilbevölkerung Ende 2016 die "Liga gegen das Schweigen" 
(http://t1p.de/wwbp).
   Ein weiteres Problem sieht FECOLPER in dem fehlenden Vertrauen in 
den Staat. Aufgrund der verbreiteten Straflosigkeit würden 
Journalisten Drohungen gegen sie oft nicht öffentlich machen. Aktuell
jährt sich etwa der Mord an Guillermo Cano, Chefredakteur der 
Tageszeitung El Espectador, welcher seit 30 Jahren straflos ist 
(http://t1p.de/yp0h). Auch die Angeklagten im Mordfall der 
Journalistin Flor Alba Nuñez, die 2015 in der südlichen Stadt 
Pitalito erschossen wurde, werden laut FECOLPER demnächst vermutlich 
aus Mangel an Beweisen aus der Haft entlassen.
   Selbst das staatliche Schutzprogramm für  bedrohte Journalisten 
bietet keine Garantie für Pressefreiheit. So standen die 
Personenschützer zuletzt im Verdacht, die von ihnen begleiteten 
Journalisten zu überwachen und bedrohen (http://t1p.de/m4m5). Das 
nationale Komitee der Journalisten, die Opfer des Konfliktes wurden, 
forderte die Regierung im Dezember 2016 mit einem Ultimatum auf, den 
Schutz und die Entschädigung von betroffenen Journalisten zu 
garantieren  (http://t1p.de/wsvj).
   UMSETZUNG DES FRIEDENSPROZESSES ZULETZT VERZÖGERT
   Anfang Oktober war die erste Version des Friedensabkommens in 
einem Referendum mit knapper Mehrheit von 50,21Prozent abgelehnt 
worden (http://t1p.de/hf1q). Eine überarbeitete Version, die auch die
Kritik der oppositionellen Gruppen berücksichtigte, wurde am 30. 
November vom Parlament verabschiedet (http://t1p.de/vwd2). Am 13. 
Dezember beschloss das Verfassungsgericht daraufhin 
Sondervollmachten, die die Umsetzung des Friedensvertrages - ohne 
weiteres Referendum - in sechs Monaten statt regulär zwei Jahren 
ermöglichen (http://t1p.de/jnxt). Damit begann die offizielle 
Umsetzung des neuen Abkommens. Analog zu den Plänen der Regierung 
sollten FARC-Kämpfer bereits Mitte Dezember in 20 
Demobilisierungszonen umziehen. In diesen isolierten Camps sollen die
Rebellen über einen Zeitraum von sechs Monaten entwaffnet und ihre 
Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorbereitet werden. 
Allerdings verzögerte sich die Umsetzung der Pläne, wodurch die Zonen
wohl erst im Februar bereit sein werden (http://t1p.de/brgi).
   Das Referendum war unter anderem an falschen Befürchtungen 
gescheitert, die das oppositionelle Lager unter Ex-Präsident Alvaro 
Uribe verbreitet hatte (http://t1p.de/fybm). In den folgenden Wochen 
nahmen Übergriffe und Drohungen gegen Journalisten und 
Menschenrechtsaktivisten konstant zu. Organisationen wie die NGO 
Somos Defensores sehen einen direkten Zusammenhang zwischen der 
Ablehnung des Abkommens und dieser Häufung: Wer sich im Vorfeld des 
Referendums für die Ergebnisse des Friedensprozesses aussprach, wurde
von oppositionellen Gruppen als "Fürsprecher" der FARC betrachtet. 
Das Wahlergebnis stärkte somit Kritikern der FARC den Rücken 
(http://t1p.de/atcv).
   MEDIENKONZENTRATION BEHINDERT PRESSEFREIHEIT
   Ein weiteres Hindernis für die Pressefreiheit in Kolumbien ist die
starke Besitzkonzentration der Medien, die Interessenkonflikte und 
Selbstzensur begünstigt und die Meinungsvielfalt behindert: Drei 
Konzerne kontrollieren durch eine Vielzahl von Publikationen und 
Sendern 57 Prozent des Markts für Printmedien, Fernsehen und Radio 
(http://t1p.de/vgss). Unter den überregionalen Medien entfallen zwei 
Drittel der Leser auf nur vier Zeitungen. Die beiden größten 
Fernsehsender machen mehr als zwei Drittel des TV-Markts unter sich 
aus und erwirtschaften rund 78 Prozent der gesamten 
TV-Werbeeinnahmen. Dies zeigen die Ergebnisse des Projekts Media 
Ownership Monitor, die ROG und FECOLPER im Herbst 2015 vorstellten 
(http://t1p.de/n7vu).
   Kolumbien ist für Journalisten nach Mexiko weiterhin das 
gefährlichste Land des amerikanischen Kontinents. Allein seit dem 
Jahr 2000 wurden rund 60 Journalisten ermordet (http://t1p.de/b6zq). 
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Kolumbien auf Platz 134 
von 180 Staaten (http://t1p.de/ro6x). Weitere Informationen zur Lage 
der Pressefreiheit in Kolumbien finden Sie unter 
www.reporter-ohne-grenzen.de/kolumbien
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen 
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer/ Anne Renzenbrink
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www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55 
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Datum: 13.01.2017 - 08:38 Uhr
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